„Johanna, der von nebenan hat jetzt auch einen SUV. Wir fahren nachher mal zum Achim ins Autohaus vorbei. Die haben super Konditionen wegen der schlechten Marktlage.“ Eigentlich schon fast ein Klischee: Die Präsentation materiellen Wohlstandes durch neues Blech in der Einfahrt.
Aber, durch das neue Auto des Nachbarn getriggert zu werden und Prestige mit einem Markenwagen unterm Skan Holz Carport gleichzusetzen, gehört so langsam der Vergangenheit an. Wir müssen uns neu definieren.
Fakt ist: Luxus und Prestige sind als Begriffe mit alten Konsumgewohnheiten verbunden. Diese Werte definieren sich jedoch neu. Freie Einteilung von Arbeitszeit löst zum Beispiel die Gehaltserhöhung ab. Ein freier Tag mehr in der Woche ist wesentlich kostbarer.
Ebenso verändert sich die Sichtweise auf das Auto. Nur in ein paar Punkten können wir nicht loslassen.
Mein Safe Space
Das Auto ist für uns ein sogenannter „Safe Space“. Eigentlich ein Rückzugsort für Minderheiten, ist das Auto aber dieser sichere Schutzraum für jeden. Es schützt uns vor unserer schlechten Laune, die potenziell ansteigt, allein beim Betreten der U-Bahn – und die schneller Fahrt aufnimmt als die 3000 kW Traktionsmotoren des Zuges, wenn sich kein Sitzplatz findet. Aber wer tief in sich geht, muss ehrlich zugeben, dass sein Frustrationslevel im öffentlichen Nahverkehr niemals so hochkocht wie hinterm Steuer (Ist Bahnfahren also gesünder? Oder sorgt der Aufschrei im eigenen Gefährt vielleicht für eine Katharsis?). Jedenfalls: Wahrscheinlich ließe sich die Abkapselung von der Außenwelt, als treibender Faktor der Autonutzung für den Großstädter, leicht mit Home-Office oder frischem Kaffee for free neben jeder U-Bahn-Tür umgehen.
Die imaginäre Kontrolle über seinen Alltag
Wir haben mit dem Auto die Freiheit loszufahren, wann immer wir wollen. Wir sind ungern fremdgetaktet, auch wenn alle fünf Minuten eine U-Bahn bereitsteht, und nehmen sogar die längere Fahrzeit in Kauf. Inwiefern der Verlust dieser imaginären Freiheit noch ein Thema beim autonom fahrenden Auto sein wird, steht auf einem anderen Blatt. Kontrollfantasie kontra KI. Das Auto muss uns nur noch bewegen, aber muss uns nicht mehr repräsentieren. In solch einer Welt ist ein Citroën Ami etwas, das man einfach fährt und nicht mehr belächelt. Oder nur ein bisschen.
Es ist alles eine Frage der Selbstdisziplin
Die Bequemlichkeit! Sind wir mit Mitte 30 noch die krass fitten Typen auf Fixies, wird ab Mitte 40 bei der kleinsten Windböe zum Autoschlüssel gegriffen (obwohl es ab da umso nötiger wäre, sich selbst zu bewegen).
Oh Baby… ich liebe dich. Du bis das einzige Auto für mich
Last, but not least – die emotionale Bindung. Ja, das Auto ist unser Pferd, mit dem wir losreiten, um noch eine Packung Zigaretten zu holen. Es macht uns schnell, auch wenn wir mit einem BMI über 30 unterwegs sind. Nehmen wir dem Auto aber den brummenden Motor, das Lenkrad und all den anderen Schnickschnack, und ersetzen es durch die Idee eines virtuellen Küchentisches, kann sich das Auto erfolgreich von alten Beziehungen lösen. Frühstücken, Zeitung lesen oder mit den Kindern per Screen reden funktioniert auch während der Fahrt. Mit Kollegen reden wir morgens per Zoom und lesen Spiegel online auf dem Tablet. Kommunikation muss nicht stoppen, nur weil sich der Übertragungsweg ändert. In der U-Bahn reden, lesen und essen Menschen ebenfalls (auch wenn es ein Dönerverbot geben sollte).
Es ist alles eine Frage der Gewöhnung. Unsere Gesellschaft entwickelt sich nur dadurch weiter, dass Akzeptanzschwellen überschritten werden. Das reicht von der Ehe für alle bis hin zum Onlinebanking. Wir müssen nur Vorurteile abbauen und machen uns damit das Leben sogar leichter.
In den 80ern hätten wir zum Beispiel über die Idee des „Influencers“ gelacht. Das geschieht zwar auch noch heute, nichtsdestotrotz hat sich damit neben der klassischen Werbung eine ganz neue Form der Verkaufsförderung etabliert. Zeitgleich erfolgt damit die Profilierung im sozialen Umfeld eben nicht mehr über einen AMG (auch wenn die gesamte Deutschrap-Gemeinde da noch hinterher hängt), sondern über die perfekte Inszenierung auf Instagram.
Klassische Statussymbole verlieren immer mehr an Wirkung. Immaterielle Dinge wie Gesundheit und neue Skills werden wichtiger. Wenn wir während des Autofahrens Chinesisch lernen können, ist das wichtiger als Nappaledersitze. Will die Automarke relevant bleiben, muss sie menschlich sein. Empathie und Humor vermitteln, sich ökologisch und sozial verträglich verhalten. Und sie muss den Alltag vereinfachen, verbessern oder angenehmer machen – denn wir sind unglaublich faul und ungeduldig geworden.
Würde die Welt heute auf die Verbindungsgeschwindigkeit eines 56K-Modems zurückfallen, würde Twitter zu DEM Medium aufsteigen, Dauerdemonstrationen vor Providerzentralen stattfinden, das ARD/ZDF-Programm sich radikal ändern, Millionen von PCs aus Fenster fliegen, tausende Ladengeschäfte in der Innenstadt eröffnen und Populisten sang und klanglos untergehen.
Also müssen wir bei Autos eigentlich wie bei Smartphones denken, nur dass sie uns zusätzlich von A nach B bewegen. Das Auto könnte künftig sogar Teil der Flotte des öffentlichen Nahverkehrs werden und ins Netzwerk eingebunden werden.
Nehmen wir klassische Verkehrsinfrastruktur-Elemente: Bahn, Tram, Bus.
Die Privaten haben das ergänzt um: Rad, Roller, E-Moped und Carsharing.
Was wäre, wenn im Preis der Jahreskarte für die Öffentlichen gleich auch Rad, Roller, E-Moped und Carsharing integriert wären und Autohersteller den Fuhrpark des öffentlichen Nahverkehrs ausrüsten würden? Das wäre ja vollkommen verrückt, aber nichtsdestotrotz machbar. Die Busspur wäre damit endlich frei für euch.