Selber fahren oder einen fahren lassen – das klingt doppeldeutig, ist es auch! Wer früher nicht selbst ans Steuer wollte oder konnte, war auf öffentliche Verkehrsmittel, Taxen oder gar einen privaten Fahrer angewiesen. Den gibt es heute auch noch, doch er benötigt weder Lohn noch Urlaub: Autonome Fahrsysteme ersetzen den „Auto-Piloten“ aus Fleisch und Blut. Auch die deutschen Premiummarken fahren mit solchen Technologien auf, auch wenn in den letzten Jahren vor allem US-amerikanische Anbieter mit ihren Fahrzeugen von sich reden machten. Ganz ohne Hilfe aus Übersee bringt auch Mercedes seine Autos von morgen nicht auf die Straße: Schon bald sollen die Assistenz- und Selbstfahrsysteme von Luminar Technologies, einem amerikanischen Experten für Laserradar, in zahlreiche Serienmodelle der Premiummarke eingebaut werden. Bislang war die Technologie dem Mercedes EQS und der S-Klasse vorbehalten.
Ein Jugendtraum wird wahr: Luminar wächst über sich hinaus
Kaum zu glauben: Das Start-up Luminar Technologies aus Kalifornien wurde vom damals erst 16-jährigen Austin Russel gegründet. Während andere sich in diesem Alter darüber freuen, endlich Bier trinken zu dürfen (zumindest öffentlich und natürlich nicht am Steuer), entwickelte der spätere Stanfordstudent bereits mit 13 Jahren sein erstes Patent. Den großen Durchbruch brachte dann aber die Lidar-Technologie, welche eine in der Funktion ähnliche Methode zum Radar darstellt und bei der optischen Geschwindigkeits- und Abstandsmessung zum Einsatz kommt. Das Laserscanning der dritten Dimension eignet sich zur besonders präzisen und reichweitenstarken Abtastung: die perfekte Ergänzung für schnelle Autos.
Vom Saugroboter in die Oberklasse
Es verwundert nicht, dass Mercedes insbesondere an der Technologie von Luminar interessiert ist, wenn es um die Zukunft der autonomen Fortbewegung geht: Vorausschauendes Fahren ist gerade bei hohen Geschwindigkeiten unverzichtbar und eine so reichweitenstarke Technik wie die der Lidar-Sensorik bringt PS-starke Karosserien so richtig in Fahrt. „Drive Pilot“ nennt sich das System bei Mercedes. Luminar ist indes mit zahlreichen weiteren Autoherstellern im Verbund, wie Toyota und Volvo. Gute Nachrichten also, falls die Mercedes-S-Klasse und andere Fahrzeuge des Premiumherstellers deine Gehaltsklasse übersteigen. Übrigens kommt die Technologie auch schon bei Saugrobotern zum Einsatz, auch wenn das Thema Geschwindigkeit dabei einen anderen Stellenwert einnimmt.
Mercedes Luminar: Mehr als genug Technologie
Lidar steht übrigens für Light imaging detection and ranging oder auch Light detection and ranging, was so viel wie Reichweiten- und Lichterkennung bedeutet. Die Technologie ist vergleichsweise teuer, so setzt zum Beispiel Tesla auf eine kostengünstigere Methode. Elon Musk ist sogar der Ansicht, dass dieses kostenintensive System für autonome Fahrzeuge nicht benötigt wird. Aber ist nicht auch das Ausdruck von Luxus: Mehr zu haben, als man braucht? Mercedes plant jedenfalls, die Zusammenarbeit weiter auszubauen und den Drive Piloten bereits im ersten Halbjahr 2022 an den Start zu bringen. Übrigens erfüllt Mercedes-Benz als erster Automobilhersteller die gesetzlichen Anforderungen der hochautomatisierten Fortbewegung, heißt: die Abgabe der Verantwortung für die Fortbewegung an das Auto. Diese Freigabe ist zunächst auf Deutschland und die USA begrenzt.
Etappensiege im Autobau
Beim autonomen Fahren wird zwischen fünf Leveln unterschieden. Level 1: assistiertes Fahren, unter anderem mit Tempomat. Level 2: teilautomatisiertes Fahren – das Fahrzeug ist in der Lage zu bremsen und kann beschleunigen. Level 3: hochautomatisiertes Fahren. Das Fahrzeug ist auf kartografierten Straßen eigenständig unterwegs. Level 4: vollautomatisiertes Fahren, der Pkw bewältigt gewisse Streckenabschnitte auch alleine. Level 5: autonomes Fahren – das Fahrzeug ist in der Lage, sich allerorts selbstständig fortzubewegen. Der Mercedes-Entwicklungschef Markus Schäfer vergleicht den technischen Fortschritt im Fahrzeugbau sogar mit der Mondlandung. Doch während bei den Weltraummissionen die Weiterentwicklung darin besteht, nach unbemannten Sonden bemannte Raumfahrt zu ermöglichen, soll im Autobau auf den Piloten zukünftig verzichtet werden. Mit der bisher auf 60 Stundenkilometer beschränkten Schlüsseltechnologie ist mit dem Drive Piloten eine Reise zum Mond nicht eingeplant, ein großer Sprung für die Menschheit könnte das System trotzdem werden. Jedenfalls ist autonomes Fahren keine Science-Fiction mehr und laut Schäfer eine der wichtigsten Trends dieser Dekade. Eine Entwicklung, die in kleinen Schritten erreicht wird.