2019 dachten wir noch, 2020 könnte nur besser werden. Es war wirklich kein gutes Jahr und man spürte förmlich das Aufatmen, als es vorbei war. Dann tauchte irgendwo in einem kleinen Ort, weit weg auf einem Markt, ein Virus auf. Man kannte das schon. Es gab die Vogelgrippe. Die Schweinegrippe. Es gab SARS. Wobei das wohl dasselbe ist. Nicht weiter der Aufregung wert. Und weit weg.
Dabei redeten wir seit bestimmt 20 Jahren über Globalisierung. Wir redeten über eine vernetzte Welt. Import und Export. Riesige Frachterschiffe, die die Weltmeere überqueren und Tausende von Flugzeugen, die buntes Plastik von A nach B bringen. Aber es war weit weg.
Irgendwann im Frühjahr waren plötzlich alle Straßen leer. Dauerte der Arbeitsweg in Berlin während der Rushhour normalerweise eine Dreiviertelstunde, war man jetzt in unter 20 Minuten im Büro. Wenn auch allein. Dafür sah man sonntags viele Menschen in den Parks spazieren gehen. Die Anzahl der Jogger stieg um gefühlte 3000 Prozent.
Unzählige Fahrräder bevölkerten die Straßen. An der Ampel gab es aber keine Pulks mehr von vier oder sogar fünf Fahrrädern nebeneinander. Früher drängelten sich Fixie Hipster oft vor und machten den Autofahrern auf der rechten Spur das Leben schwer, weil sie die Weiterfahrt versperrten. Alle standen nun fein säuberlich mit Mindestabstand hintereinander in einer Reihe, was sogar dazu führte, dass Fahrradfahrer ebenso wie Autofahrer plötzlich zwei Ampelphasen benötigten, um die Kreuzung zu überqueren. Insgesamt waren es über 26 % mehr Radfahrer in Berlin. Man könnte fast behaupten, die Stadt ist durch Corona definitiv fitter geworden. In der U-Bahn begegnete man sich mit höflicher Distanz, vermischt mit einer Prise Misstrauen. Also wie immer.
Die Stadt war zur Ruhe gekommen. Das HöherSchnellerWeiter wurde ausgebremst. Diejenigen, deren Situation nicht finanziell massiv beeinträchtigt war, atmeten kurz durch und fanden das eigentlich alles ganz gut. Entschleunigung. Es war ein kurzer Ausblick darauf wie es sein könnte, würden wir uns zugestehen, das Weniger wirklich manchmal Mehr sein kann. Weniger Arbeitszeit. Weniger Rushhour. Weniger Autos. Weniger Lärm. Bessere Luft. Mehr Zeit zu Hause. Entspannte Menschen. Der Autoverkehr ging über 50 % zurück. Ein Viertel weniger LKWs walzten durch die Städte. Die Luft an großen Verkehrskreuzungen morgens um zehn wurde endlich atembar.
Und jetzt? Niemand will wirklich das Verkehrschaos der Vor Corona Zeit zurück. Was können wir daraus lernen und ist dieser Zustand auch nach Corona möglich?
Eigentlich sind wir schon zu spät dran, denn seit Ende Juli ist das Verkehrsaufkommen fast wieder auf die durchschnittlichen Werte der Vor Corona Zeit zurückgeschnellt. Und der Weg ins Büro dauert wieder eine Dreiviertelstunde.
Wenn die Sommertage vorbei sind und das klassische deutsche Herbstwetter mit seinen vielen Regenschauern zurückkehrt, werden viele das Rad wieder in der Garage stehen lassen und sich mit dem Auto auf den Weg zur Arbeit machen. Spätestens ab da wird sich der Konflikt auf den Berliner Straßen weiter verschärfen. Fahrradfahrer und Autofahrer stehen sich so verbissen gegenüber wie Deutsch Rap und liberale Eltern. Aber dank Corona bekamen Fahrradfahrer mehr Platz auf Berlins Straßen. Sogenannte Pop up Wege. Ganze Fahrspuren waren plötzlich weg. Und das war gut so, denn sie wurden gebraucht.
Sollten die neu geschaffenen Radwege weiter bestehen, passiert Folgendes: Die gleiche Anzahl von Autos wälzt sich nun durch eine stark befahrene Straße, die statt zwei Spuren nur noch eine hat. Was wird passieren?
Lieferfahrzeuge werden die neuen Fahrradwege zu parken. Die klassischen SUV BMW AMG Egomanen werden illegal über die Fahrradwege heizen, um die langen Schlangen an den Ampeln zu umgehen, was dazu führt, dass die Fahrradwege mit Pollern geschützt werden müssen. Es ist nur eine Frage der Zeit bis der erste LKW-Fahrer ausrastet und diese Poller nieder fährt.
Klingt hart? Es ist aber ein realistisches Szenario, für den Fall dass alle wieder zum normalen 40h Job in die Büros zurückkehren. Man könnte das Ganze als Chance ansehen, die Mobilität in den Städten wirklich zu ändern. Nur muss das jetzt geschehen. Berlin ging auch einen radikalen Weg mit dem Mietendeckel, und er ist das Beste, was den Menschen passieren konnte. Da ist ein Beschluss für den Erhalt aller neu geschaffenen Radwege weitaus unkomplizierter zu bewerkstelligen.
Wir starteten das Future Mobility Projekt, um euch zu zeigen was sich Menschen ausdenken, damit unsere Städte in naher Zukunft nicht kollabieren. Wir wollten euch all die verrückten Ideen intelligenter Verkehrsplanung vorstellen. Dafür haben wir mit vielen klugen Leuten geredet. Menschen, die seit Jahren damit beschäftigen, und jede Menge schlauer Studien publiziert haben.
Was allerdings keiner von ihnen bedachte… war das Arbeiten von zu Hause. Es gab in den ersten Corona Monaten keinen morgendlichen, mittäglichen, nachmittäglichen und abendlichen Verkehrstau, weil die Menschen im Home Office waren. Das ist der einzige Grund. Also wenn wir den Verkehr zügeln wollen, dann werden das keine cleveren Stadtplaner sein, sondern die großen Unternehmen, die mittleren Unternehmen und all die Agenturen und Start Ups, deren Mitarbeiter genauso gut über virtuelle Meetings funktionierten und deren Management jetzt einsieht, dass sie sich teure Büroräume in der Innenstadt sparen können.
Es ist zwar utopisch, aber alleine die Idee, viele städtische Beamten müssten nicht mehr in ihren grauen Betonklötzen sitzen, sofern sie keinen Kundenkontakt haben, sondern könnten von zu Hause aus arbeiten, würde die Möglichkeit eröffnen, ganz viel neuen sozialen Wohnraum zu schaffen oder sogar ganze Gebäude an die Kultur der Stadt abzugeben.
Schauen wir mal wie es weitergeht in 2021. Nach so vielen Monaten in Kurzarbeit und Home Office wird es vielen Menschen schwer fallen wieder zurück in ihre 40 Stundenwoche zu gehen und jeden Tag ins Büro zu fahren, denn vielen dürfte bewusst geworden sein, wie gut es ihnen tat mehr Zeit im Leben für sich zu haben. Wenn das Umdenken der Wirtschaft dazu führt dass der Berufsverkehr nach dem Ende der Pandemie auch nur um 20 % geringer ausfällt, dann Home Office sei Dank. Was das alleine für den Kampf gegen den Klimawandel bedeutet, wenn zigtausende Autos nicht mehr jeden Morgen stundenlang durch die Städte fahren… versteht sich von selbst. Bei Future Mobility haben wir über viele Konzepte gesprochen, die von Ride Pooling, Car Sharing bis zu Auto Abo und E-Scooter reichen, oder Luft Taxis. All diese Konzepte bringen langfristig was, wenn wir auch das Bewusstsein der Menschen dahingehend ändern können, dass ein eigenes Auto in Großstädten, immer weniger sinnvoll wird. Die Home Offcie Lösung hätte hier sehr kurzfristig bereits erstaunliche Resultate.