Der Begriff Biennale ist vom Biennium abgeleitet, einem Begriff für den Zeitraum von zwei Jahren. Die diesjährige Biennale geht vom 23.April bis 27.November 2022. Das Motto „Die Milch der Träume“ bezieht sich dabei auf ein Kinderbuch von Leonora Carrington und dreht sich um Metamorphosen: Menschen werden zu Tieren – und umgekehrt. Ich war da. Endlich.
Die Kunst der Welt in einem Garten auf einer Insel, dargeboten in Länderpavillons, von denen manche, laut Inschrift, schon vor dem ersten Weltkrieg gebaut wurden. Die Biennale ist also schon älteren Datums und das allwissende Internet gibt dazu bekannt:
„Die ursprüngliche Biennale war die Idee eines Bürgermeisters von Venedig, der seit 1895 alle zwei Jahre eine Weltausstellung der Bildenden Kunst unter dem Titel La Biennale di Venezia veranstalten ließ. Sie ist die älteste internationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst.“ (Wikipedia)
Seit einigen Jahren werden auch die Schiffswerften mit ihren Hallen aus dem 16. Jahrhundert als Ausstellungsfläche genutzt, denn die Zahl der teilnehmenden Nationen erweiterte sich nach und nach. (Der russische Länderpavillon ist allerdings für 2022 geschlossen.)
Biennale 2022, das sind über 200 Künstlerinnen und Künstler, rund 80 Länderpavillons, 30 offizielle Collateral Events und zahlreiche Ausstellungen in Kirchen, Palazzi und Botschaften, verteilt über die ganze Stadt.
Dieses Wachstum führt aber auch dazu, dass der Biennale Besucher sich manchmal einer ca. 200 Meter langen Touristenschlange gegenüber sieht, weil Anselm Kiefers Ausstellung im Palazzo Ducale, dem Dogenpalast hängt. Denn dieses architektonische Meisterwerk gotischer Kunst, mit prunkvollen manieristischen Verweisen, noch dazu am Markusplatz (Piazza San Marco), ist der Touristenmagnet schlechthin.
Auf dem ursprünglichen Gartengelände ist es glücklicherweise weniger überlaufen, was auch an den Biennale Ticketpreisen von 25 Euro liegt. Wobei die mehr als gerechtfertigt sind.
Im Lauf der Zeit erweiterte sich übrigens das Spektrum der Biennale. Heute wird sie ergänzt durch eine Architekturbiennale und die jährlichen Filmfestspiele von Venedig, bei denen der Goldene Löwe vergeben wird. Und weltweit gibt es über 40 weitere Biennalen, von Paris, Sao Paulo bis hin zu Casablanca und New York. Und sogar in Aachen, Bad Homburg, Gera, Halle, Hildesheim, Berlin, Meißen, Mönchengladbach, München und Wiesbaden. Aber keine ist so schön wie die in Venedig.
Wie bereits oben erwähnt, ist das gesamte Biennale Gelände in einem Garten eingefasst. Das ist sehr erholsam und gibt dem Auge genug Futter, um die vielen Pavillons entspannt abzulaufen. Die Länderpavillons selbst sind für Architekturbegeisterte schon sehenswert genug. Vom kunstvollen ungarischen Pavillon mit geschwungenen Bögen und goldenen Mosaiken, dem dänischen Pavillon, der um Bäume herum gebaut ist, und viel Glas mit einem luftigen Betondach aus Lamellen bietet, bis hin zum poppigen Süd Korea Glashaus. Der deutsche Pavillon, der von den Nazis umgebaut wurde, und noch dazu GERMANIA heißt, lässt den Betrachter allerdings nur davor stehen und denken: „Oh man mal wieder typisch…“
SPANIEN
Aber starten wir mit dem Rundgang. Vor dem Betreten des Hauptpavillons, kommen noch die Länderpavillons von Spanien, Belgien und den Niederlanden. Starte auf keine Fall mit Spanien. Der Raum ließ viele Besucher lachend und kopfschüttelnd zurück. Der Raum ist leer. Es gibt nur ein paar zusätzliche Ecken. So avancierte die Map zur Ausstellung auch zum heimlichen Renner, da ihr Inhalt exakt dem Raum entsprach.
Aber trotzdem lies sich auch hier ein schönes Foto machen… Licht und Schatten funktionieren eben immer.
BELGIEN
Belgien folgt. Es folgt so unglaublich stark, dass Spanien schnell vergessen ist. Gezeigt werden großformatige Videoinstallationen von Francis Alÿs. Der bekam für seinen belgischen Pavillon eine Menge Vorschusslorbeeren, und er enttäuscht die Erwartungen nicht. Seine mehrteilige Videoarbeit „The Nature of the Game“ ist poetisch, wahrhaftig und bewegend.
Man sieht Kinder spielen und fühlt sich sofort zurückversetzt in die eigene Kindheit, denn die Natur des Spielens ist überall gleich, auch wenn wir früher „Cowboy und Indianer“ mit sogenannten Katschis spielten, während man hier Jungen sieht, die sich durch die Reflektionen von Spiegelscherben beschießen. Oder auch Mädchen und Jungen in Afrika, die singend und tanzend einen Mosquitoschwarm in Schach halten, eine kleine Schar im Irak, die ohne Ball Fußball spielt, weil das Ballspiel haram, also verboten ist. Man sieht einen Jungen einen Autoreifen einen schwarzen, dystopischen Berg hochrollen, sofort an Sisyphus denkend, der später im Reifen sitzend, diesen Berg wieder hinab rollt. Ich blieb vor diesen Videos sitzen. Und wohl das erste Mal auch länger, denn es war zutiefst beeindruckend.
HAUPTPAVILLON
Der Hauptpavillon platziert den WOW Effekt direkt nach dem Durchschreiten des Eingangsportals. Ein riesiger grüner Elefant der Künstlerin Katharina Fritsch steht wie ein Denkmal auf einem Sockel, durch riesige Spiegel „vervielfältigt“.
Viele folgende Arbeiten im weitläufigen Gebäude sind geradezu verstörend, drastisch und gruselig; tauchen ein in surrealistische Traumwelten mit popkulturellen Zitaten aus Filmen wie Predator und Alien. Hier schreibt ein begeisterter Besucher, man merkt es wohl.
USA
Ein weiteres Highlight: Der USA Pavillon. Simone Leigh ist die Künstlerin der Stunde auf der Biennale 2022. Unter dem Titel „Sovereignty“ eröffnet sich hier die Erfahrungswelt schwarzer Frauen sowie eine Synthese afrikanischer Kunsttradition und europäischer Moderne. Der Blick auf die spiegelnd glatte Oberfläche des schwarzen Wassers, in dem gebückt eine Wäscherin steht, ist ein Highlight in Venedig.
FRANKREICH
Der französische Pavillon, der zum ersten Mal einer arabischen Künstlerin berberischer Herkunft anvertraut wurde, präsentiert „Les rêves n’ont pas de titre / Dreams Have No Titles“. Im Inneren des Pavillons sehen wir verschiedene Filmkulissen – mit viel Musik und einer Kamera. Die Kulissen wirken wie Filmsets aus den 50er bis 70er Jahren und zeigen viel Liebe zum Kino.
UK
Der Pavillon Großbritanniens wird von Sonia Boyce vertreten: Sie ist die erste Schwarze Künstlerin, die in die Sammlung der Tate aufgenommen und zum Mitglied der Royal Academy of Arts gewählt wurde. Hier präsentiert sie „Feeling Her Way“, eine lebendige musikalische Installation, in deren Mittelpunkt die musikalischen Darbietungen fünf Schwarzer Künstlerinnen stehen.
SÜDKOREA
Der südkoreanische Pavillon ist sicher der futuristischste unter allen. Wie soll man das beschreiben? Chromstahl Spritzen, die Sounds erzeugen. Glasplatten, zwischen denen Liquide eingespritzt werden, die sich in einer endlosen Schlange aufreihen und durch Druckveränderungen diverse Ansichten von Universen erzeugen. Die Unendlichkeit in der Unendlichkeit und immerwährende Idee von Verfall und Erneuerung.
DÄNEMARK
Der Däne Uffe Isolotto schuf Kentauren Figuren, die so täuschend echt sind, dass sie unvergesslich bleiben. Man kommt rein und ist baff. Viele gehen auch gleich wieder. Der Rest bleibt erstarrt stehen. Vielleicht nicht die hohe Kunst mit 50000 möglichen Interpretationsmöglichkeiten aber es fährt dir in den Magen, du verstehst das direkt auf einer sehr archaischen Ebene.
SCHWEIZ
Last but not least: Die Künstlerin Latifa Echakhch repräsentiert die Schweiz an der Biennale. Sie bespielt den Pavillon mit der Installation «The Concert». Eine dunkle Landschaft, in Orange getaucht, Landschaft mit übergroßen Köpfen aus langen breiten Sperrholz-Spänen. Das Orange wirkt geheimnisvoll und soll die Nahtstelle zwischen Tag und Nacht symbolisieren. Der Effekt ist gelungen, man behält es im Kopf.
Dauer: 23. April bis 27. November 2022
Kuratorin: Cecilia Alemani
Tickets: um € 25,– auf labiennnale.org erhältlich
Öffnungszeiten:
Giardini, Arsenale und Forte Marghera:
23.04. bis 25.09.: 11:00 Uhr bis 19:00 Uhr
(Arsenale: bis 20:00 Uhr)
27.09. bis 27.11.: 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr
Montags geschlossen. (Ausnahmen: 25.04., 30.05., 27.06., 25.07., 15.08., 05.09., 19.09., 31.10., 21.11.)